7. Dezember

Foto Karin Jäckel
Foto Karin Jäckel

 

Horch, – das Christkind kommt!

 

©Margot Müller

 

Früher war alles schöner. Friedlicher und anmutiger. Man braucht mir das nicht ausreden, - es war so! 

Denke ich zurück an die Kinderzeit in den Fünfzigerjahren auf dem Dorf, wenn es Weihnachten wurde, so wärmt mir das immer noch das Herz. All die lieben Menschen sehe ich vor mir, die zum Gelingen der festlichen, würdevollen Zeit beitrugen.

Zugegeben, Nikolaus und Knecht Ruprecht waren Schreckgestalten, die uns Kleine einschüchterten . War aber dieser Besuch überstanden, so fieberten wir dem Christkindel entgegen, auf dessen Freundlichkeit war immer Verlass.

 

In unser Haus kam es noch leibhaftig, wie auch in die Häuser unserer Spielkameraden. Wenn es an Heilig Abend leise klingelte vor der Tür, so war das Glück perfekt. Vater eilte dem besonderen Gast gestenreich entgegen, während wir mit Mutter „Ihr Kinderlein kommet“ anstimmten. Er nahm ihm sein Gepäck ab und geleitete es über die Schwelle von Großmutters Stube. Dort leuchteten im Herrgottswinkel bereits die roten Wachskerzen unseres Tannenbaumes. Vater hatte ihn zuvor kunstvoll geschmückt, nach allen Regeln des guten Geschmacks, das ließ er sich nicht nehmen. Und darunter auf Moospolstern war das kleine Krippele aufgebaut.

 

Wir Kinder blickten scheu und respektvoll auf die zierliche Gestalt im bodenlangen weißen Hemd und  einem Schleier vor dem Gesicht. Trug es meistens einen Goldreif mit glänzendem Stern, so änderte es seine Kleidung von Jahr zu Jahr geringfügig. Ich war zwar klein aber nicht  naiv, irgendwas ging da  vor, was mich stutzig machte. Der Schleier hatte bemerkenswerte Ähnlichkeit mit der Küchengardine unserer Nachbarin. Auch die weißen Schuhe, konnte das möglich sein? Solche hatte Elsa zur Kommunion bekommen. Ein Jahr war das Hemd einem Hochzeitskleid ähnlich, dann wieder meinte ich es als Nachthemd zu kennen von Emilies Wäscheleine! Und gewachsen war es wohl auch?   Der Clou war einmal ein Strohhütchen, verziert mit zarten Stoffblumen;  das ging selbst mir als sechsjährigem Gör zu weit und mein Glaube an das Christkind kam sehr ins Schwanken. Als ich anderntags zu meiner kranken Nachbarin stürmte, um ihr die neue Puppe zu präsentieren,  wunderte es mich schon, dass dasselbe Strohhütchen auf  Elsa´s  Schrank thronte!

Doch war das Christkindel  immer so brav, schenkte, was man sich  sehn-süchtig erwünscht hatte, dass es unanständig gewesen wäre, weitere Nachforschungen anzustellen und gar töricht, laute Zweifel zu äußern. So kam es also Jahr für Jahr zu uns und löste Warmherzigkeit und Freude aus.

 

Sogar unsere Nachbarsleute streckten wunderfitzig ihre Köpfe in unsere Stube, um zu erlickern, was das „Himmlische Kind“ uns mitgebracht hatte. Stets beteuerten sie ihr Bedauern, dass die Tochter Elsa nicht dabei sein konnte, die läge mit Fieber im Bett!

Da traf es sich ganz gut, dass die leise Fistelstimme  vom Christkindel uns so sehr an Elsa erinnerte und es uns im Nu  vertraut vorkam.

 

Einige Zeit später flog der ganze Schwindel auf.  Meine Neugierde stürzte mich in tiefe Verzweiflung: Verbotenerweise habe ich auf unserem Dachboden in Opa´s  altem Überseekoffer gekrustelt. Nicht nur das Goldene Buch vom Christkindel und der Sternenreif, nein, auch der steife grüne  Lodenmantel vom Nikolaus, der mit dem Iltiskragen lag vor mir, die Zipfelmütze und der weiße Bart vom Nikolaus. Dies war die endgütige  Vertreibung aus meinem Kinderparadies.

 

Die Jahre vergingen; schließlich war ich ein Teenager und Nachbars Elsa, mein liebes, einstiges Christkindel, eine junge Mutter. Auch in den Sechziger Jahren wurde der Brauch noch gepflegt, das leibhaftige Christkind zuhause zu empfangen. Ehrensache, dass ich mich revanchierte, zumal ich als Babysitterin die zwei Kinder gut kannte.

Ausstaffiert mit allen nötigen Utensilien, begab ich mich an Heilig Abend 1962 zu meinem ersten bedeutenden Auftritt. Man belud mich mit den Geschenken für die kleine Anita und das Brüderchen Klaus, gab mir ein paar Anweisungen, dann klingelte ich, zitternd vor Aufregung.

 

Die Großmutter schob mich in das weihnachtlich geschmückte Stübel, ich piepste mein erstes Sprüchlein, da kam die vierjährige Anita auf mich zu gestürzt:

„Komm nur rein Christkindel! Ich kenn dich! Du bist doch s Moler´s  Margotel, brauchst mir nix verzehle!“

 

Damit war meine Schauspielkarriere  beendet. Mir bleiben aber bis heute die schönen Erinnerungen an damals.