3. Dezember

 

WEIHNACHTSGESCHICHTE 

 

Wenn nichts den Frieden stört….

 

©Klaus-Ulrich Moeller

 

Josef zog das graue Baumwolltuch glatt. Zwei mal zwei Meter, direkt vor dem Fenster, dort, wo wie jedes Jahr der Baum stehen sollte. Auf dem Tuch würde er, wenn, in wenigen Stunden, der Heiligabend anbrach, die Geschenke für die Kinder platzieren – bunte und lange und quere Pakete, wie ein Turm aufgeschichtet. Josef hörte das Kinderlachen aus dem Nachbarzimmer. Romy und Tobias waren aufgeregt, zeigten noch kindliche Vorfreude. Josef sah sie förmlich, wie sie nebenan wild auf ihren Betten herumhüpften.  

Er lächelte. Seine Augen glänzten. Er liebte diese Stunden, in denen er, kurz vor der Bescherung, ganz für sich sein konnte, weil Maria wie immer die Küche in Beschlag 


genommen hatte. Es war ihr Reich und jedes Jahr eine Überraschung, welchen Festtagsbraten sie vorbereiten würde.

Josef machte eine kurze Pause, richtete sich auf und entschloss sich, den Baum gleich jetzt aus dem Keller zu holen, dann wäre auch das erledigt. Der 3D-Drucker hatte ihn bereits gestern Nacht fertig ausgedruckt, mit Nadeln, Kerzen, den Süßigkeiten. Das Schlagen von Bäumen in der Natur war schon seit Jahren verboten. Das erste Mal spürte er so etwas wie Glück. Dieses Gefühl hatte er so bisher nicht erleben dürfen. 

Als er, den Baum hinter sich herziehend, die Treppe hinaufkeuchte, spürte er, dass er die Batterien wechseln musste. Sie würden nicht mehr den Abend über halten. Er musste dazu nur in den kleinen magnetisierten Cyberraum gehen, der inzwischen in jedem Haus Pflicht war, weil Strom viel zu teuer geworden war.

Während Josef sich in den Magnetbeschleuniger stellte, schaute er an sich herunter und war zufrieden, was er sah. Die Technik hatte im letzten Jahr gewaltige Fortschritte gemacht: Er war sich seiner selbst bewusst geworden, er begann, Gefühle zu zeigen und wusste, dass er denken konnte. Er als Maschine war auf dem Weg, Mensch zu werden. 

Während sich seine Akkus magnetisch aufluden, fragte er sich, welche Kleidung angemessen wäre für den Abend. Das dunkelgrüne Jackett vielleicht, das extra für die Baureihe XP-300 entworfen worden war, der er angehörte. Er hatte es erst kürzlich auf der Messe „Robot Fashion“ gesehen, sich in das Jackett verliebt und es sofort gekauft. Der Markt für Kleidung, Schuhe und Accessoires für künstliche Maschinen wie ihn boomte.

Ich muss mich beeilen, sagte Josef zu sich, sonst ist der Heiligabend da und nichts ist vorbereitet. Er spürte nun wieder neue Energie in sich, verließ die Ladestation, schleppte mit seinen beiden kunstvoll gefertigten Armen den Baum zum Fenster und platzierte ihn neben dem grauen Tuch. Er war stolz darauf, dass es so aussah, als wohnten hier Menschen. Keinem Nachbarn würde irgendetwas auffallen. Sie würden wie die Menschen Weihnachtslieder singen, sie würden sentimental werden und vielleicht würden sie sogar weinen bei „Stille Nacht, heilige Nacht“. Erst seit kurzem konnten sie weinen.  

In diesem Moment betraten seine zwei Kinder, etwas unbeholfen, aber lächelnd und glückselig den Raum. Sie hielten sich die Hände, die von menschlichen Händen nicht zu unterscheiden waren. Maria, die hinter ihnen stand, hatte noch ihre metallene Küchenschürze um, aber sie lächelte ebenfalls. Dann sangen sie alle zusammen – schöner, kraftvoller, harmonischer als Menschen das je könnten. Nichts störte den Frieden. Vier Roboter, die gerne Mensch wären und als glückliche Familie das Weihnachtsfest feiern. Seien wir ehrlich: Wo gibt es das heute noch?!