24.Dezember

 

Der Freundschaftsbaum

 

©Karin Jäckel

 

Der Hamster hatte den ganzen Herbst Samen und Körner, Kräuter und Beeren, Pilze und Nüsse gesammelt.

Endlich waren seine Vorratskammern voll. »Jetzt kann der Winter kommen«, meinte er und legte sich zufrieden zu Bett.

Wie lange er geschlafen hatte, wusste der Hamster nicht. Aber er wusste, was ihn geweckt hatte. Es war eine Schneekugel mit einem Schwänzchen. Sie war durch

den Eingangstunnel mitten in die Hamsterhöhle gerollt.

»Nanu?«, wunderte der Hamster sich. »Was ist denn das?« Neugierig schlich er sich an die Kugel heran und zog ein

wenig an dem Schwänzchen, das an einer Seite heraushing.

»Autsch!«, piepste es aus der Schneekugel. Und »Hatschi!« tauchte mit vier Füßchen auch eine spitze Nase aus dem Schneepelz auf.

»Gesundheit!«, wünschte der Hamster und merkte, wie sich erst ein dunkles Auge in der Schneekugel öffnete, dann ein zweites und ihn lange anschauten.

Schließlich fingen die Barthaare an der spitzen Nase der Schneekugel zu zittern an. Die Beinchen streckten und reckten sich. Ein tüchtiges Schütteln und Schneestieben und – schwupps – war die Kugel eine Maus.

»Der Fuchs ist hinter mir her«, rief sie. »Er wollte mich fressen. Ich bin gerannt und gerannt und dann fiel ich in ein Loch.«

»Direkt zu mir herein«, sagte der Hamster. »Hier bist du in Sicherheit.«

»Wirklich?«, fragte die Maus. Der Hamster nickte nur.

»Schön hast du’s hier«, meinte die Maus, während der Hamster sie mit einer kuschligen

Moosdecke wärmte. Sie nahm auch gern ein paar Beeren zu sich. Trotzdem fror sie immer mehr, und als es eigentlich Zeit war, in ihr Mauseloch zurückzukehren, hatte die Maus schon Fieber.

»So lasse ich dich auf keinen Fall in die Kälte raus, kleine Maus«, meinte der Hamster.

»Du bleibst heute einfach hier.« 

»Aber das geht doch nicht«, flüsterte die Maus.

»Und wieso wohl nicht?«, fragte der Hamster. »Platz hab’ ich für zwei, zu essen auch und

etwas Gesellschaft kann nie schaden.«

Aber da war die Maus schon eingeschlafen.

Viele Tage lag die Maus nun krank im Hamsterbett. Und jeden Tag kam mindestens einer ihrer Freunde zu Besuch. Alle brachten etwas für sie mit. Die Amsel trug einen Strauß getrockneter Hagebutten im Schnabel. Der Igel hatte einen rotgoldenen Apfel bei sich, der auf seinen Stacheln steckte. Die Haselmaus brachte die allerdickste Walnuss mit, die sie  hatte finden können. Das Eichhörnchen kam mit einem prachtvollen Tannenzapfen voller Samen.

Trotzdem schmolzen die Wintervorräte des Hamsters rasch dahin, denn natürlich wollte er alle Besucher herzlich empfangen und bewirten. So kam es, dass er sich immer öfter mit knurrendem Magen schlafen legte, weil er sparen musste. Doch da er die kleine Maus liebgewonnen hatte, machte es ihm überhaupt nichts aus. 

Vor lauter Gästen und Sorge um seine Freundin Maus merkte der Hamster gar nicht, dass Weihnachten näher rückte. Und plötzlich war der Heilige Abend da.

»Komm, wir wollen deine Höhle schmücken «, rief die Maus, die kein Fieber mehr hatte

und zum ersten Mal wieder aufstehen konnte. »Ich habe Strohhalme in deinem Vorrat gesehen. Daraus sollen die schönsten Sterne werden.«

»Aber wir haben doch gar keinen Tannenbaum«, wandte der Hamster ein und schämte sich ein bisschen, dass er Weihnachten vergessen hatte.

Die Maus lächelte nur. »Mach mal die Augen zu!«

Der Hamster gehorchte.

Er hörte etwas rascheln und knistern. Trippelschritte hier, Trippelschritte da. Der Hamster

hielt es vor Neugier kaum noch aus.

»Tatatata!«, jubelte die Maus. »Augen auf!«

»Ah!« Der Hamster staunte.

Vor ihm stand ein kerzengerades Tannenbäumchen, an dessen Spitze ein wunderschöner

Strohstern glänzte.

»Kleine Maus«, rief der Hamster und befühlte ihre rosa Füßchen, ob sie nicht etwa kalt wären, »du wirst doch nicht in den Schnee gelaufen sein, um einen Tannenbaum zu holen?«

Da lachte die Maus und gab dem Hamster einen Kuss. »Nein«, sagte sie. »Das ist ein Freundschaftsbaum. Er ist aus dem Zapfen gewachsen, den das Eichhörnchen gebracht hat, als ich krank war. Und jedes Mal, wenn du nichts gegessen hast, damit du genug für mich und meine Freunde hättest, ist er ein Stückchen größer geworden.«

»Das hast du bemerkt?«, murmelte der Hamster ein wenig verlegen.

»Richtige Freunde merken alles«, meinte die Maus.

Und dann feierten sie miteinander das schönste Weihnachts-Freundschafts-Fest.

Foto Karin Jäckel
Foto Karin Jäckel