2. Dezember

Foto Karin Jäckel
Foto Karin Jäckel

 

MAX UND MORITZ

UNTER DEM WEIHNACHTSBAUM

 

©Karin Jäckel

 

Es war am Heiligen Abend. Die Frau mit ihren Einkaufstaschen hatte es eilig. Doch so eilig sie es auch hatte, an dem alten Kanalrohr blieb sie stehen. Immer blieb sie hier stehen.

Es war ein ziemlich löchriges Kanalrohr. Welkes Gras wucherte in dicken Büscheln darauf. Zerzaustes Efeu machte sich ringsum breit. „Moritz,“ lockte die Frau und bückte sich. „Moritz!“

Ein fuchsroter schmächtiger Kater schob sich aus dem Rohr und sah die Frau aus scheuen grünen Augen an. Das Kanalrohr war sein Zuhause. Im Sommer war es ein schönes Zuhause gewesen. Doch jetzt, im Winter, war es ein nasses, kaltes Zuhause. Hätte die Frau ihm nicht oft etwas zum Fressen mitgebracht, wäre er vielleicht schon längst verhungert.

Die Frau streckte die Hand aus. „Komm!“ schmeichelte sie. „Komm!“ 


Moritz zögerte. Er hatte schlechte Erfahrungen mit Menschenhänden gemacht. Doch diese hatte ihn schon oft gefüttert. Vielleicht war sie anders. Vorsichtig kam er näher. Die Hand roch gut. Weich fühlte sie sich an. Warm.

Als die Frau fortging, lief der kleine Kater ihr nach. Sie eilte zu einem Haus, trat ein. Drinnen bellte ein Hund.

„Geh jedem Hund aus dem Weg,“ hatte die Mutter ihm eingeschärft. Moritz zitterte vor Angst. Aber er hatte auch Sehnsucht, Sehnsucht nach der warmen Hand der Frau. Frierend duckte er sich auf seine Füße nieder und schmiegte sich eng an den Metallrahmen des Briefschlitzes und begann zu rufen. „Mi-au! Mau! Mau!“ Alles blieb still.

Die Kälte war jetzt so schlimm, dass Moritz sie bis in den Bauch hinein spürte. So schlimm war sie, dass er seine Scheu überwand und die Nase in den Briefschlitz in der Haustür steckte. Sie war da drinnen, die Frau mit den warmen, sanften Händen. Er konnte sie riechen.

Fest presste er sich an den Briefschlitz und hätte fast geschrien, als die Briefklappe zum Hausflur hin plötzlich nachgab und sein Körper durch den Schlitz nach innen rutschte.

Da saß er. Minutenlang. Mucksmäuschenstill. Atemlos vor Spannung und Angst. Doch endlich wagte er sich auf die offene Tür zum Wohnzimmer zu.

Die Frau sah ihn nicht. Sie hängte lange, glitzernde Fäden an einen Tannenbaum. Neben ihr saß ein Hund. Unter dem Baum aber stand ein Haus. Auf der einen Dachseite wuchs Moos. Über der eingesunkenen anderen Dachseite baumelte ein goldener Stern. Darunter schlief ein mausekleines Kind auf Stroh. Ohne nachzudenken raste der kleine Kater unter den Tannenbaum, dessen Zweige bis auf den Fußboden reichten, und duckte sich.

Dicht neben ihm stand das schiefe Häuschen. Das winzige Kindchen roch nach Holz und Farbe. Die Krallen achtsam eingezogen, tippte Moritz es an. Das Kind bewegte sich nicht. Er schnurrte leise in das winzige Ohr. Das Kind blieb still. Vorsichtig legte Moritz sich zu ihm ins Stroh. In der Hütte war es zwar eng, aber früher hatte er mit sieben Geschwistern bei seiner Mutter geschlafen. Da war es auch eng gewesen, eng und gut. Schnurrend kuschelte Moritz sich zurecht und sah das Kindchen noch einmal prüfend an. Dann fielen ihm die Augen zu.

Er erwachte von dem Gefühl einer drohenden Gefahr. Mit dem ersten Blick erfasste er das bärtige Hundegesicht über sich und wusste, dass er nicht fliehen konnte. Sekundenlang starrten Hund und Kater einander an. Moritz fauchte. Aber der Hund griff nicht an. Er bellte nur.

Die Frau kam sofort. „Was ist denn, Max?“ fragte sie verwundert und bog die Tannenzweige auseinander.

Moritz sprang ihr sofort entgegen. „Du?“ Mit sanfter Hand strich die Frau über den mageren Rücken des kleinen Katers, der den Hund nicht aus den Augen ließ. „Wo kommst du denn her? Willst du etwa bei uns bleiben?“

Moritz schnurrte laut. Ihre Hände taten so gut. Als sie seinen Kopf dem Kopf des Hundes näherte, zuckte er nur einmal kurz zurück. Dann ließ er zu, dass sich ihre Nasenspitzen vorsichtig, ganz vorsichtig berührten.  

„Stinkt nach Kater mit ein bisschen Duft von Frauchen!“ dachte der Hund.

„Stinkt nach Hund mit ein bisschen Duft von ihren Händen!“ dachte der Kater.

„Ihr Duft ist gut“, dachten beide.

Und so begann die wunderbare Freundschaft zwischen Max und Moritz unter dem Weihnachtsbaum.