17.Dezember

Foto Karin Jäckel
Foto Karin Jäckel

 

Jemandem eine Freude machen

 

©Gottfried Zurbrügg

 

Es wurde wieder Advent und Weihnachten. Friedhelm war zum ersten Mal seit über 50 Jahren allein. Im November war seine liebe Frau verstorben. Die Kinder waren lange ausgezogen und hatten eigene Familien. „Das Leben geht weiter“, sagte er sich jeden Tag, aber das ist nicht Trost genug, wenn die Wolken so tief hängen, der so dringend erbetene Regen endlich fällt und es viel zu früh dunkel wird.

Jeder Tag forderte auch einen Einkauf selbst für den kleinen Einmannhaushalt. So war Friedhelm auch diesmal unterwegs und ging über den Parkplatz zu einem Einkaufszentrum.

Was wurde früher nicht alles eingekauft! Wie strahlten die Kinderaugen, wenn die Kinder und später die Enkel mit zum Einkaufen gingen. Vater oder Opa hatte immer ein offenes Herz für die Kleinen und so manches Unnütze, aber Schöne wurde gekauft. Was ist schöner, als jemandem anderem eine Freude zu machen!

Heute begleitete ihn niemand, dem er eine Freude hätte machen können. Man kann doch nicht jemanden ansprechen: „Entschuldigen Sie, darf ich Ihnen eine Freude machen?“ Schwerlich, denn das klingt doch seltsam und man fragt sich unwillkürlich, was der Fremde eigentlich will. Nichts, nur eine Freude machen! Wer wird das verstehen?

Da sprach ihn ein Straßenverkäufer an: „Können Sie mir eine Zeitung abkaufen?“

Er sah auf und vor ihm stand ein älterer Mann mit einem Stoß Zeitungen über dem Arm. „Es ist der Streetworker“, erklärte er. „Wir Menschen, die auf der Straße leben, erzählen von unserem Leben. Mit dem Verkauf der Zeitung haben wir Arbeit und verdienen ein wenig.“ Er sah ihn voller Hoffnung an. Ihm hatte wohl heute noch niemand eine Zeitung abgekauft. Friedhelm wollte auch nicht, denn eine Zeitung hätte nur beim Einkauf gestört. „Ich kaufe die Zeitung, wenn ich meinen Einkauf erledigt habe“, sagte er.

Der Verkäufer nickte und zog sich in seine Ecke zurück. „Wieder nur eine Ausrede“, dachte er sicherlich, „wie so oft oder wie immer.“

Friedhelm konnte seinen Einkauf schnell erledigen, denn eine Person braucht nicht viel. Dann ging er rasch zum Auto. Dort blieb er stehen und suchte den Schlüssel. Während er in seinen Taschen wühlte, schaute er über den Parkplatz, der sich rasch leerte. Ganz in Gedanken hatte er wie immer einen kleinen Rosenstrauß mitgekauft. „Ich stelle ihn in die Vase für meine Frau“, dachte er.

Da fiel sein Blick den Zeitungsverkäufer. Dieser schaute genau zu ihm herüber und Friedhelm spürte dessen Enttäuschung, als höre er die Worte: „Habe ich mir doch gedacht!“ „Nein“, sagte er laut und dann erfreut „Ja“, denn er hatte seinen Schlüssel gefunden. Nein zum Wegfahren und Ja zu seinem Wort!

Er ging zurück zum Eingang des Einkaufszentrums und sagte zu dem erstaunten Zeitunghändler: „Ich habe doch gesagt, dass ich Ihnen eine Zeitung abkaufe. Ich nehme auch gleich drei.“

„Nein“, lachte er, „das müssen Sie nicht. Sie haben mir eine ganz große Freude gemacht, indem sie zurückgekommen sind. Ich sah Sie und dachte, wieder so einer, der eine Ausrede findet, und dann kehrten sie um. Das ist vielleicht eine Kleinigkeit, aber das macht Hoffnung. Jemand hat mich gesehen und sein Wort gehalten.“

„Darf ich Sie noch zu etwas einladen?“, fragte Friedhelm. „Einen Berliner vielleicht, die sollen sehr gut sein.“

„Ja, danke“, antwortete der Zeitungsverkäufer und lächelte. „Gerne!“

Friedhelm ging, den Berliner zu holen. Als er zurückkam, war der Zeitungsstapel auf dem Arm des Verkäufers deutlich kleiner geworden. „Die Leute kaufen“, sagte er lächelnd. „Sie haben eine Mauer durchbrochen mit Ihrem Zurückkommen. Man sieht mich plötzlich.“ Wieder kaufte jemand eine Zeitung und lächelte freundlich.

Der Zeitungsverkäufer verschlang den Berliner. Ganz augenscheinlich hatte er wirklich Hunger. „Nein, nein!“, wehrte er ab, als er sah, dass Friedhelm mehr anbieten wollte. „Eine kleine Freude ist genug. Aber Sie haben einen Blumenstrauß in der Hand. Für wen ist der?“

„Ich habe ihn aus Gewohnheit gekauft, meine Frau wollte das gerne, aber sie ist von mir gegangen.“, antwortete Friedhelm traurig.

„Dann mache ich Ihnen auch eine Freude“, sagte der Zeitungsverkäufer. „Sehen Sie die ältere Frau dort? Sie wird sich über Ihren Strauß freuen.“

„Meinen Sie?“, fragte Friedhelm zaghaft.

„Ja“, sagte er.

Friedhelm ging auf die Frau zu und reichte ihr die Blumen. „Ich möchte Ihnen eine Freude machen."

„Eigentlich lieber nach dem Einkauf, aber geben Sie schon her, vielen Dank! ich habe ewig keine Blumen mehr bekommen. Ich bringe sie schnell ins Auto!“, antwortete die Frau und strahlte über das ganze Gesicht. Verlegen brachte sie ihre Frisur in Ordnung. „Danke und eine schöne Adventszeit!“

Als er sich umsah, war der Zeitungshändler verschwunden, aber ein Lächeln lag über dem Parkplatz und überall wurden Leute davon angesteckt, lächelten sich zu und gingen nicht mehr wortlos aneinander vorbei.

Friedhelm war einfach nur glücklich.