15. Dezember

Foto Karin Jäckel
Foto Karin Jäckel

 

Zeit für Dich

 

©Ronja Erb

 

 „Nenn‘ mir doch mal fünf Worte, die etwas mit Weihnachten zu tun haben und mit ‚L‘ anfangen“, sagt meine Schwester plötzlich zu mir.

Verdutzt gucke ich sie an. Gerade hatten wir uns darüber unterhalten, wie es ihr bei ihrer neuen Arbeitsstelle geht, bei der sie vor drei Wochen angefangen hat. Wieso wechselt sie nun so abrupt das Thema? Und was soll überhaupt diese Frage?

Genau das erwidere ich dann auch, ohne ihre Frage zu beantworten. Doch meine Schwester insistiert und besteht auf einer Antwort.

Ich nippe an meinem Kaffee, gucke durch die Scheiben des Cafés, in dem wir sitzen. Passanten strömen vorbei, viele tragen große Tüten. Hier drin fühlt man sich von der eiligen Geschäftigkeit, die da draußen alle anzutreiben scheint, beschützt. Leises Stimmengewirr, das von den anderen Tischen zu uns herüberdringt, das Zischen und Brodeln der Kaffeemaschine, sonst ist nichts zu hören.

„Also fünf Worte mit ‚L‘“, wiederholt meine Schwester ihre Frage.

Ich verspüre ein ganz klein bisschen Abwehr in mir, fühle mich abgefragt. Dennoch entscheide ich mich dafür, ihr Spiel mitzumachen.

„Liebe“, sage ich, weil es das erste Wort ist, das mit durch den Kopf schießt, und füge dann gleich an: „Licht“.

Meine Schwester nickt.

Nachdenklich schaue ich wieder aus dem Fenster. Gerade hat es angefangen zu schneien. Dicke Flocken fallen zu Boden, wunderschön sehen sie aus. Einige Leute ziehen sich ihre Kapuzen über den Kopf. Ein Kind dreht sich vor Freude im Kreis und versucht, eine Schneeflocke mit der Hand zu fangen.

„Lachen“, sage ich.

Wieder überlege ich einen Moment. Das Wort ‚Last‘ geht mir durch den Kopf, sage es aber nicht. Obwohl, passend fände ich es schon, wenn ich an die alljährliche, vorweihnachtliche Hektik und die vielen Besorgungen und Vorbereitungen denke. Trotz bester, meist Anfang November gefasster Vorsätze, habe ich es noch kein Jahr geschafft, nicht irgendwann doch in Stress zu kommen.

Ich überlege weiter. Meine Schwester sieht mich durchdringend an. Ich bin verunsichert, denn das hier scheint ihr wirklich wichtig zu sein. Worauf will sie nur hinaus, frage ich mich und rühre, um ihrem Blick auszuweichen, mit dem Löffel in dem letzten, mittlerweile schon kalten Schluck Kaffee, der noch in meiner Tasse ist.

„Lebkuchen“, sage ich und bin erleichtert, dass mir noch was eingefallen ist.

„Das sind jetzt vier Wörter“, sagt meine Schwester und klingt dabei wie eine Lehrerin. In der Tat fühle ich mich fast wie in der Schule und frage mich, ob sie gleich auch noch ‚danke, setzen‘ sagen wird.

Ein kalter Luftzug zieht durch das Café. Ein Mann steht in der geöffneten Tür und unterhält sich mit jemandem draußen. Mich fröstelt es. Offenbar andere auch, denn ein leises, aber doch gut vernehmbares Raunen geht durch das Café.

„Und?“, fragt meine Schwester, um meine Aufmerksamkeit wieder zu gewinnen.

Ich winke ab, da ich von der Abfragerei ein wenig genervt bin, und sage ihr, dass mir kein Wort mehr einfällt.

„Lena“, sagt meine Schwester.

„Lena!“, wiederhole ich so laut, dass sich mehrere andere Gäste zu uns umdrehen. Etwas leiser füge ich an: „Das ist dein Vorname. Und was hat der mit Weihnachten zu tun?“

Lena nimmt meine Hände in ihre Hände, schaut mir in die Augen und sagt: „Ich möchte gerne Weihnachten mit euch feiern. Kann ich zu euch kommen?“

Nach einem kurzen Moment des Erstaunens, will ich schon lospoltern, warum sie mir das nicht gleich gesagt habe und mich hat erst dieses blöde Buchstabenspiel machen lassen, besinne mich dann aber eines bessern. Es ist ihr offenbar nicht leicht gefallen, ihren Wunsch zu äußern. So selbstverständlich es mir erscheint, dass sie Weihnachten zu uns kommen kann, so schwer ist ihr doch die Frage danach gefallen. Ich bin gerührt und streichele meiner Schwester über die Wange.

„Natürlich kannst du kommen. Wir würden uns sogar sehr darüber freuen!“, sage ich und Lena lächelt erleichtert.

„Du und Peter, ihr seid herzlich willkommen“, bekräftige ich meine Einladung. Die Freude ist mit einem Mal aus ihrem Gesicht verfolgen. Traurig senkt Lena den Blick.

„Falls Peter überhaupt mitkommt. Es kriselt zwischen uns, wir stecken in einer richtigen Ehekrise“, sagt sie und Tränen laufen über ihr Gesicht.

Ich rücke meinen Stuhl neben ihren und nehme sie in den Arm. Ich streiche ihr die Haare aus dem Gesicht und lege ihren Kopf an meine Schulter. Minuten vergehen, in denen keiner von uns beiden etwas sagt, selbst die Geräusche um uns herum wirken gedämpft. Ich genieße die Nähe zwischen uns, reibe sanft meinem Kopf an ihrem.

Wie lange haben wir schon nicht mehr so dagesessen? So innig verbunden, nur auf uns konzentriert. Ich spüre, wie ihre Tränen über meine Hand laufen, sage ihr tröstende Worte und reiche ihr ein Taschentuch. Ja, denke ich, wir werden gemeinsam Weihnachten feiern. Überhaupt sollten wir uns künftig viel öfter sehen, mein liebes Schwesterherz. Wir brauchen uns immer noch so sehr!