10. Dezember

 

Ein Rendezvous mit Theodor Fontane

 

©Marion Stieglitz

 

Jetzt musste sie also diesen Text über Theodor Fontane schreiben. Steffi kamen so viele Dinge in den Sinn, auf die sie gerade mehr Lust hatte. Mit ihrem Freund ins Kino gehen zum Beispiel – was nicht ganz einfach war, wenn der Partner in Stockholm lebte und man selbst fast 1500 Kilometer davon entfernt. Aber da sie schon kein normales Beziehungsleben führen durfte, hätte sie wenigstens gerne die Kollegen auf den Weihnachtsmarkt begleitet.

Blöderweise hatte der Chefredakteur ihr noch diesen Auftrag für die nächste Kolumne gegeben. „Schreiben Sie was über Theodor Fontane. Er feiert am 30. Dezember seinen 200. Geburtstag. Da fällt Ihnen doch bestimmt was Nettes ein – was fürs Herz, bitte!“

„Ich habe doch schon was vorbereitet. Einen Text über Fernbeziehungen während der Weihnachtszeit – das ist doch viel aktueller als so ein… “, hatte Steffi erwidert und sich gerade noch die Formulierung „verstaubter Dichter“ verkniffen. Ihr Chefredakteur hatte Germanistik studiert und was bekanntermaßen ein Fan deutscher Klassiker.

„Ihr Privatleben interessiert die Leserinnen unserer Zeitschrift „Frau im Jetzt“ nun wirklich nicht. Und so ein alter Poet ist oft moderner als man denkt.“ Dann hatte er ihr noch grinsend einen Stapel Bücher überreicht: Eine Biografie von Fontane, seine Balladen, den Roman „Effie Briest“. Steffi erinnerte sich, dass sie ihn widerwillig in der Schule gelesen hatte. Die arme Effie entflieht darin ihrer trostlosen Ehe durch eine Affäre und zur Strafe wird der Liebhaber erschossen und sie selbst für immer in die Armut verbannt. Genervt biss Steffi in einen Zimtstern. Wie sollte sie denn bitteschön was Herzergreifendes für eine Frauenzeitschrift schreiben, wenn Fontane seine weiblichen Hauptfiguren nicht mal ein halbwegs glückliches Happy End gönnte? Steffi dachte an ihren Freund Arne, der jetzt bestimmt noch in seinem Stockholmer Café arbeitete. Das Lokal lief gerade nicht so gut, weshalb er die geplante Weihnachtspause streichen musste. Beide würden mal wieder kein gemeines Fest erleben - das zweite Jahr hintereinander.

Kauend warf sie einen Blick auf die Biografie von der Theodor Fontane, auf deren Titel er abgebildet war, gekleidet in einen eleganten Anzug und etwas hochnäsig in die Ferne starrend. Der große Poet, dem die Literatur-Klassiker nur so aus der Feder gepurzelt waren, hatte sowas wie sie bestimmt nie erlebt, dachte Steffi: Geldsorgen, Beziehungskrisen. Um ihre Vermutung zu bestätigen, begann sie in der Biografie zu blättern. Dabei merkte sie gar nicht, wie die Zeit verging. Erst bei der Hälfte des Buchs blickte sie auf die Uhr und stellte fest, dass sie die letzte drei Stunden ununterbrochen gelesen hatte. In dieser Zeit hatte Steffi erfahren, dass Fontanes Karriere keineswegs reibungslos verlaufen war. Nachdem er zunächst den Fußstapfen seines Vaters folgte und den Beruf des Apothekers gelernt hatte, wagte er erst als 29-Jähriger den Schritt ins Schriftstellerleben. Danach waren viele Jahre von Armut geprägt. Wegen einer Anstellung als Korrespondent in London musste er als junger Vater den Heiligen Abend oft fern von seiner Familie feiern. „Die Weihnachtszeit ist wieder da mit Tannen und mit Lichtern, ich stünde gerne als Herr Papa unter lachenden Gesichtern. Doch ach, zu fremdem Gänse-Genuss nach Brompton fahr ich im Omnibus. Es geht nun mal nicht anders“, dichtete er im Jahr 1856 für seine Frau Emilie.

Steffi schüttelte erstaunt den Kopf. Sie hatte nun wirklich nicht damit gerechnet mit Theodor Fontane ein gleiches Schicksal zu teilen: eine Fernbeziehung rund um Weihnachten führen zu müssen. In diesem Augenblick vibrierte ihr Handy. Ihre Kollegin Vera hatte ihr eine Nachricht geschrieben. „Wie läuft dein Rendezvous mit Fontane?“

Steffi musste nicht lange nachdenken, als sie die Antwort tippte: „Überraschend gut! Ich bin gerade dabei, diesen Theodor richtig spannend zu finden.“