Rezension Ursula Neumann: Der Kirchenrechtsprofessor

Rezension von Dr. Karin Jäckel im Februar 2019

 

Neumann, Ursula: Der Kirchenrechtsprofessor nimmt Vernunft an, wird mit mir glücklich und stirbt, BoD 2017

 

Eine Biographie wie ein Gespräch zwischen der autobiographisch erzählenden Verfasserin und ihren lauschenden Leser/innen.

Schonungslos, fast möchte ich schreiben, gnadenlos offen, ehrlich und hoch emotional zeichnet Ursula Neumann ihre Lebens- und Liebesgeschichte mit Johannes Neumann nach und auf, der als Kirchenrechtsprofessor in Tübingen forschte, veröffentlichte und lehrte.

Als geweihter katholischer Priester zum Zölibat verpflichtet, verliebte er sich leidenschaftlich in die junge Theologiestudentin Ursula, die seine Gefühle nicht minder heftig erwiderte. Dennoch war nicht sie es und auch nicht die Liebe, die den renommierten und allseits geschätzten Kirchenrechtler auf Distanz zu seiner Kirche gehen und ihn zuletzt - aus freien Stücken - seinen kirchlichen Lehrauftrag zurückgeben ließ.

 

In „Der Kirchenrechtsprofessor nimmt Vernunft an, wird mit mir glücklich und stirbt“ begibt Ursula Neumann sich auf die Suche nach dem jungen Johannes Neumann, den sie so innig geliebt und mit allen Sinnen begehrt und in den letzten Jahren seines Lebens zunächst an eine seinen Geist immer nachhaltiger verschlingende Krankheit und schließlich an den Tod verloren hat.

Sehnsüchtig macht sie sich auf die Spurensuche in seinen und ihren Tagebüchern, in seinen Schriften und ihren miteinander gewechselten Briefen und in ihren eigenen Erinnerungen. Darin eintauchend, entschwindet ihr fast die Gegenwart, deren schmerzliche Leere ohne den Geliebten am ehesten im Schwelgen in einem gemeinsamen Gestern zu ertragen ist.

 

Trotz der emotionalen Dichte des Geschehens und der damit im Kopf erzeugten Bilder, denen man sich als Leser/in nicht entziehen kann, weil sie so ursprünglich, so lebensecht und liebeswarm vor den inneren Augen auftauchen, ist die Sprache des Buches alles andere als süßlich oder gar weinerlich. Im Gegenteil, gespickt mit feinem Humor, sarkastischen Pointen, herzerfrischend geradlinigem Zorn und Ärger, einer unverstellten Erotik und streckenweise bei allem bitteren Ernst spielerisch anmutenden Dialogen zieht Ursula Neumann nicht nur mit, sie reißt mit. Und man genießt es, mittendrin zu sein, scheinbar hautnah, herznah, empört sich mit, lacht und ja, weint auch mit.

 

Die Lebens- und Liebesgeschichte eines Paares, das aus Gründen seines Arbeitgebers, der Kirche, nicht zusammenkommen darf und doch unlösbar aneinander hingegeben ist, entwickelt sich vor dem Hintergrund des „Tübinger Skandals“ der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts.

Namen, die nicht nur in kircheninternen Kreisen bis heute mehr als Schall und Rauch sind, kommen darin vor. Ratzinger und Küng mögen die vielleicht bekanntesten sein, dicht gefolgt von „Institutionen“ wie etwa dem Rottenburger Bischof.

Klerikales Intrigenspiel und Machtgerangel, Heuchelei und Bigotterie zeigen Charaktere hinter den Roben und Masken der Diener Gottes, fern jener erhabenen klerikalen Ansprüche, als geweihte Gottberufene den Menschen auf Erden das Leben im Paradies vor Augen zu führen.

Verdammt irdisch geht es zu, wenn abgeliebte Bettgespielinnen perfide Ränke schmieden, um in das jedem Tratsch und Klatsch begierig geneigte bischöfliche Ohr zu lügen und den Mann, den sie selbst nicht mehr haben können, auch keiner anderen zu überlassen.

Und schmerzhaft menschlich rührt es das Leserherz an und auf, wenn Urängste Knoten um die Seele des im Beruf so souveränen Kirchenrechtsprofessors schnüren und ihn an Abgründe ohnmächtiger Verzweiflung treiben.

 

Es ist Ursula, die ihn immer wieder ans Licht führt, nie hinters Licht. Das ist sein Privileg. Schmerzhaft wird es ihr bewusst, während sie seine Tagebücher und Notizen, seine Briefe liest. Sie kann ihn nicht mehr persönlich zur Rede stellen, kann nicht mehr hören, was er zu seiner Rechtfertigung anführen könnte. Sie muss sich selbst zusammensuchen, was und wie er sich erklären, womit er die Zweifel zerstreuen könnte, die er so unverhofft mit seinem Nachlass über ihr ausgeleert hat. Es tut weh. Und es dauert.

Doch am Ende hat sie ihn wieder, den so innig geliebten Mann, dem sie sich ohne Rückhalt geschenkt hat wie er sich ihr. Seine Stimme klingt in ihr nach, seine Nähe ist präsent. Die Trauerarbeit ist getan. Nichts ist vergessen, nichts ist vorbei. Doch sie kann leben, überleben, weiterleben. Tief in Johannes verankert, hört sie die Vögel wieder singen. Auch ohne ihn.

 

Für mich als Leserin hat Ursula Neumanns autobiographische Biographie des Kirchenrechtsprofessors Johannes Neumann eine dreifache Faszination ausgestrahlt. Die Faszination eines überbordenden Gefühls zweier Menschen, die sich mir im Spiegel der Sprache, der Worte, in seltener Rückhaltlosigkeit zeigen. Die Faszination des Einblicks in die Seele eines Menschen, der sich aus dem starken Impuls persönlicher Hingabebereitschaft einem Gott geweiht hat, der sich mehr und mehr als ein Konstrukt einer Kirche entpuppte. Und die Faszination der geteilten, auch mit mir geteilten, Erkenntnis, dass die Institution Kirche die ursprünglich „so milde, so barmherzige, so emanzipatorische Botschaft der Liebe pervertiert“ und sich „durch ihre Hingabe an Glanz, Reichtum und Macht zur Hure gemacht“ hat, so dass sie nicht mehr „Güte, Verzeihung, Leben ohne Gier und Hass“, nicht mehr „Frieden“ verkörpert, sondern der „Glaube die wahre Liebe vergiftet und Freiheit unmöglich macht.“

 

Als „Christ“ sah Johannes Neumann sich schon sehr lange vor seiner Ehe mit Ursula Neumann nicht mehr. Und doch machte die Kirchenobrigkeit in ihr die Schuldige am Sturz ihres gefallenen Engels aus, als Johannes Neumann die Konsequenz aus seiner Erkenntnis zog und sich der Kirchenlehre verweigerte. „Cherchez la femme“ scheint für den katholischen Klerus der Sünden-Inbegriff. Was Wunder, dass sie damit an Menschen scheitert, die Vernunft anzunehmen wagen und Liebe leben.

 

©Dr. Karin Jäckel